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Die Graphikerin
Bücher über Johanna Dorn

Die Graphikerin

Peter Kraft

In dieser Johanna Dorn gewidmeten Monographie ist ein Selbstbildnis
der Künstlerin vorherrschenden Blautönen
wiedergegeben, das ihre
ausgereifte Porträtkunst zeigt. Das Ölgemälde stammt aus dem Jahr 1985 und fasst alle Merkmale jenes persönlichen Expressionismus zusammen, zu dem Johanna Dorn nach einer jahrzehntelangen Entwicklung gefunden hat.
Der Grundakkord Blau trifft sich mit der verhaltenen Melancholie des nach innen und zugleich abwärts gerichteten Blicks. Der Kontrapunkt zwischen Gesichtsausdruck und der Hand, die den Pinsel führt, gibt dem Werk eine starke geistige Verankerung. Die dunklen blauen Farbfelder stehen gegen die lichten und, im Zentrum gegen das sparsame Rot eines Kleidsaums und die Farbe der Haut. Dieses Bild hat in dem Band zwei sehr eigentümliche Entsprechungen: einmal das Scharz-Weiß-Porträtfoto der Künstlerin im Halbprofil mit dem in der Hand vorgehaltenen Spiegel, und zum anderen das Kohlestift-Selbst-Porträt von Johanna Dorn, eine „Studie“ aus dem Jahr 1985, die die Künstlerin sitzend oder kauernd zeigt, die Rechte nachdenklich zu den Lippen führend, indes die Linke völlig entspannt auf den Knien ruht. Gerade dieses Bildnis leitet zu Recht eine Übersicht über die Graphik von Johanna Dorn ein. Die Kunst der Menschenanalyse, die Umsetzung von Physiognomie, Gestik, Mimik ins Unveränderliche des geistigen Ausdrucks hat hier im Bild ihren Schwellenplatz, der für den Betrachter beim weiteren Studium des graphischen Werks zum Ausgangspunkt einer generellen Deutung werden kann.
Die ersten Graphiken begegnen uns ab den späten dreißiger Jahren etwa um 1939. Es sind sehr feine Radierungen, die aus einem gewissen Horror vacui die dargestellten Sujets bis auf das letzte Raum-Detail randlos auf die Blätter übertragen.
Die Sujets sind jener ländlichen Welt des Innviertels entnommen, der Johanna Dorn entstammt, und die auch das Umfeld ihrer Kindheit geprägt haben – Mostpressen im Freien, die Arbeit in der Schmiede, die Darstellung alter Frauen, mitunter auch nicht ohne Ironie wie bei der „Godn“ unter der Flügelhaube mit ihrem Schützling, dem gerade noch nicht flügge gewordenen Mädchen. Die ungeheuer dichten und kleinteiligen Strichgeflechte geben allen Motiven eine gewisse Verhangenheit, auch Düsternis und unbewusste Schwermut.
In den zwanzig Jahren jüngeren Kohle- und Federzeichnungen ist dieser frühe, innerlich noch unsichere Realismus abgestreift, die Sicht der Dinge ist eine fraulich reife. Das Wesentliche eines Kopfes, einer Figur, einer Menschengruppe oder einer Landschaft wird mit ahnungsvollem Gespür erfasst und souverän in spontanen, treffsicheren Ausdruck verwandelt. Das expressionistische Vokabular ist in dieser Zeit bereits gefunden und wird souverän angewandt.
Die in diesem Band wiedergegebenen Graphiken Johanna Dorns lenken den Blick in mehrere, jeweils gleich stark entwickelte Bereiche des bildnerischen Ausdrucks und der Motivwahl.
Da ist zunächst auf die Porträts hinzuweisen, denen als „zentrales Anliegen“ im Leben der Künstlerin auch eine existenzielle Bedeutung zukommt. Viele Gemälde sind in diesem Sinn denn auch erweiterte Porträts mit dem umgebenden Flächenbezug eines malerischen Gesamtkunstwerks.
Zeichnerisch beschränken sich die Porträts auf oft nur wenige, fast seherisch, tiefenpsychologisch auslotende Striche. Diese Tendenz setzt sich konsequenterweise in den Selbstbildnissen fort.
Das Instrumentarium umfasst neben Kohle und Bleistift auch die Tuschfeder und den Tuschpinsel. Damit wird eine linear markierende, aber auch flexibel lavierende Arbeitsweise praktiziert. Mit den Porträts stehen die Skizzen, Studien und Vorzeichnungen zu durchkomponierten und –gearbeiteten Gemälden in einem plausibeln Zusammenhang.
Was die stilistische Entfaltung betrifft, so gibt das „Selbstbildnis“  von 1973, eine Tuschfederzeichnung, konkrete Hinweise. Antlitz und Figur sind konsequent flächenhaft gehalten und erscheinen vor einer eigentümlich abstrakten Hintergrund-Ornamentik mit irrealen Zügen. Auch die Körperproportion von Kopf und Extremitäten wird bewusst im Sinne stärkerer psychologischer Durchdringung mißachtet. Im „Kinderbildnis“ von 1973 ist dieser Effekt einer Dialektik zwischen Figur und künstlichem Hintergrund noch gesteigert worden.
Ein möglicher Bezug zu einem Gemälde wird in der Bleistiftzeichnung „Flötenspielerin“ von 1976 angenommen. Das klug durchdachte Blatt zeigt die Komposition ineinander verschränkter Rechtecke von Tisch und Sessel, die „rechtwinkelig“ entgegengesetzte Figur der „Flötenspielerin“ und im Hintergrund ein hochformatiges Wandgemälde, das wiederum eine sitzende Figur enthält.
Vielfältig durchinstrumentiert ist auch das Blatt „Frau im Liegestuhl“, eine Federzeichnung in Tusche mit teilweise im flüssigen Auftrag ausgefransten Konturen. Auch dieses Blatt konfrontiert den Betrachter mit einer in sich geschlossenen und vollendeten Bildwelt, die das Ergebnis eines streng „gebauten“ Ölgemäldes sein könnte. Die Bildkomposition ist fast mit traumwandlerischer Sicherheit festgelegt.
Ähnlich, aber schlichter und wenige „polyphon“ ist die Kohlestudie „Brigitte“ von 1978 angelegt, auch sie wirkt wie ein Grundrissraster für ein detailliert zu Ende zu führendes Gemälde.
In einem eigenen Konnex, als Porträts wie als Figuren, stehen die beiden Federzeichnungen in lavierter Tusche unter dem Titel „Sommer“, aus dem Jahr 1978. Sie halten spontan zwei kauernde, jugendliche Gestalten fest, ein Mädchen und einen Mann. Unter den reproduzierten Graphiken befindet sich im Buch auch eine Tierstudie, die in lavierter Tusche spontan einen Zug „asiatischer Malweise“ auslebt.
Ein faszinierendes Modell scheint für die Künstlerin das Mädchen „Simone“ gewesen zu sein, das insgesamt dreimal im Buch mit der Zeichenfeder beschworen wird, dabei – im Augenblick des Abgebildetwerdens – jedoch gerade selbst aquarelliert. Die zeichnerische Porträtreihe findet im „Selbstbildnis“ Johanna Dorns von 1980 einen eindrucksvollen Abschluss. Die Künstlerin sitzt nachdenklich im weißen Malerkittel da, die Rechte mit zwei Pinsel in der Hand aufgestützt auf den rechten Schenkel. Das Antlitz darüber ist mit einem durchschauenden, irgendwie stillresignativen Gesichtsausdruck auf den Betrachter gerichtet. Graphische, zeichnerische Reiseeindrücke hingegen konnte Johanna Dorn zum größten Teil erst während ihrer beiden letzten Lebensjahrzehnte sammeln. Sie verweist auf Stationen in Rom, Florenz, Assisi, Cagnes sur mer, in Nizza, Prag, Hamburg, Venedig und Chioggia. Aus letzteren beiden Hafenstädten an der Adria stammen ihre wunderbar treffsicheren, ein Maximum an geistiger Verdichtung erzielenden Kohle- und Filzstift-„Stenogramme“ mit Motiven der Kirche Santa Maria della Salute, schweren Lastkähnen, zierlichen Gondeln und labyrinthischen Kanälen.
Im Medium der Kohle werden malerische Wirkungen durch verreiben und Verteilen der Schwärze auf dem Blatt, mitunter als Kontrast zum Bleistiftstrich, erzielt. Mit dem Filzstift kamen unmittelbare Abdrücke, gleichsam filmische „Ablichtungen“ der Realität, brennpunktartig konzentriert auf ein empfindsames Sensorium und damit im Negativverfahren, zu Papier.
Ein mustergültiges Blatt glückte mit der Tuschfederzeichnung „Landesteg in Chioggia“, aus dem Jahre 1973, dank starker, suggestiver Reduktion der Linien und der schwarz verschatteten oberen Bildrandfläche. Die Bildaussage ist spielerisch rhythmisiert, der musikalische Schwung der Handschrift rundet die Gesamtkomposition.
Es gibt noch zwei Darstellungen, die dem Motiv nach der näheren und nächsten Heimatlandschaft von Johanna Dorn verpflichtet sind. So erscheint eine „Landschaft am Inn“ von 1983, die anschließt an die zitierte Tierstudie in der gerundeten Ballung ihrer Gesamtkomposition. Es ist dies eine späte, ungemein dichte und zugleich schwermütige Beschwörung von Johanna Dorns ureigenem Lebensbereich.
Der Band schließt seine Bilderreihe ab mit einer Tuschezeichnung der Türme- und Dächerszene der Salzburger Altstadt, wo die Ausbildung der Lehrerin begann, die aus innerer Notwendigkeit heraus eine freie Künstlerin werden musste. Das Blatt von 1984 ist stilistisch mit der schwungvollen Pinselzeichnung „Landesteg in Chioggia“ aus dem Jahre 1973 verwandt.
Johanna Dorn konnte glücklicherweise ihre Autobiographie hinterlassen. Darin werfen Formulierungen ein bezeichnendes Licht auf die Entwicklung und den inneren Werdegang dieser Künstlerin als Zeichnerin. So berichtet Johanna Dorn etwa, wie sie als krankes Kind auf einer von vielen Rissen durchzogenen Zimmerdecke zwanghaft eine Vielzahl von Köpfen und Figuren „herauslas“. Viele Jahre später, als gereifte Künstlerin, hatte sie die Möglichkeit, in Hamburg von einem Turm des Tropeninstitutes aus die Szenerie zu malen, wo vor ihr auch schon der mittlerweile mit ihr bekannte Maler Oskar Kokoschka seine berühmte Stadt- und Hafenlandschaft schuf. Johanna Dorn entdeckte im Turmaufgang ein flüchtiges (Selbst-) Porträt von Oskar Kokoschka (signiert: O.K.), das dieser aus Rissen und Schimmelflecken an der Wand zu einem Bild gezwungen hatte. Damit ist dort wie da eine schöpferische Epiphanie angedeutet, die tiefste Mechanismen und Energiequellen im produktiven Unterbewusstsein eines Menschen freilegt.
Zeichnung und Porträtkunst fielen bei Johanna Dorn von frühester Jugend an zusammen, wie eine weitere Anekdote über den Physiklehrer an der Lehrerbildungsanstalt in Salzburg beweist, den das junge Mädchen 1934 als ersten Menschen bewusst zeichnerisch konterfeit hat. Das Bildnis, eine kleine, hingekritzelte Zeichnung, geriet „so ähnlich, dass ich erschrak“ erinnerte sich Johanna Dorn. Die Großmutter der Künstlerin soll überdies in Momenten außergewöhnlicher Erregung stets zu Bleistift und Papier gegriffen haben, um Vorkommnisse mit raschen Strichen zu skizzieren.
Das zeichnerische, graphische Element im künstlerischen Schaffen dieser Frau ist also das grundlegende, präfigurierende. Erst über das fertige, graphische Netz der Gestaltung bricht später, im Stadium akademischer Ausbildung und schöpferischer Betroffenheit durch die Werke von Cézanne, Matisse, Modigliani und Macke die grelle leuchtende Welt der Farbe herein. Dem spätimpressionistischen Malerei-Professor Fahringer in Wien geht denn auch zunächst der Ausbildner im zeichnerisch dominierten Porträt, Professor Larwin, voraus.
Die graphische Kunst von Johanna Dorn ist, schon allein aufgrund des schwierigen und entbehrungsreichen Lebensganges der Künstlerin, als weitgehend eigenwüchsige, unbeeinflusste Hervorbringung anzusehen. Eine jahrzehntelange provinzienelle Isolierung in der äußersten Ecke des Innviertels hat das ihre dazu beigetragen.
Dennoch hat man das graphische Werk Johanna Dorns auch eingebettet in seine erbmäßig-familiären und gesellschaftlichen Zusammenhänge zu sehen.
Wie bereits erwähnt, ist in ihrer Selbstdarstellung von einer zeichnerischen Begabung der Großmutter die Rede. Diese kreative Ader lief dann weiter über den Vater und verteilte sich auf insgesamt drei Geschwister, neben Johanna Dorn nämlich ebenso auf die als Bildhauer wirkenden und bekannt gewordenen Brüder Konrad und Alois Dorn.
Ein Vergleich der zeichnerischen Eigenart Johanna Dorns mit den graphischen Werken ihrer Brüder beziehungsweise ihres vor allem als Druckgraphiker und Holzschnittkünstler hervorgetretenen Gatten Herbert Fladerer – bereits 1981 verstorben – wäre angebracht und sicher aufschlussreich, ginge jedoch über die Zielsetzung dieses Aufsatzes hinaus. Es ist zu hoffen, dass der zeichnerische Nachlass Johanna Dorns wenigstens teilweise der Öffentlichkeit erhalten bleibt, ebenso aber, dass öffentliche Sammlungen bereits jetzt mit den besten Arbeiten dieser in jeder Hinsicht charaktervollen Künstlerin aufwarten können.


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